Alpencross 2014


Matthias schaute mir in die Augen. Diesen Blick kannte ich. Eine Mischung aus verrückt, visionär, ambitioniert, wahnwitzig und dennoch zuversichtlich...

 

„Nächstes Jahr mit dem Rad über die Alpen?“ fragte er mich und hielt mir seine offene Hand hin.

 

Mit dem Rad? Über die Alpen? Ich wollte nein sagen. Ich musste nein sagen. Aber ich spürte seine Kraft. Es fühlt sich so an, als ob er mir zur Seite steht, egal was passiert. Es fühlte sich so an, als ob er mich zur Not über die Alpen schieben würde, wenn ich ihn brauche.

 

Alles in mir sagte dennoch nein, nur nicht meine Lippen, die flüsterten:

 

„Ja“.

 

Und ich gab ihm meine Hand.

 

Und auch Nils legte seine Hand auf unsere.

 

Dann legten auch Will und Johannes ihre Hände drauf.

 

Wow, was für eine Kraft, was für eine Energie… Schaffen wir das wirklich? Diese gemeinsamen 5 Committments schienen Berge versetzen zu können. In diesem Fall die Alpen.

 

 

Ein Jahr später sitzen wir am Gardasee. Wir sind angekommen und ich kann es kaum glauben.

 

Ich konnte es wirklich kaum glauben. Aber warum? Warum fühlte es sich im ersten Moment nicht „besonders“ an? Warum gab es keine emotionale Explosion? Warum empfand ich Zufriedenheit, aber kein Glück?

 

Heute weiß ich warum. Und ich weiß, was die Reise mich gelehrt hat:

 

Über die Alpen, mit dem Fahrrad, das klingt nach einem großen Projekt. Sicher braucht es einiges an Vorbereitung und Planung. Auch die gegenseitige Unterstützung in unserem Tribe war praktisch grenzenlos. Jeder hat jeden jederzeit unterstützt, wenn es die Situation und der Moment erforderte.

 

Und dennoch wirkt es wie ein riesiges Unterfangen.

 

Dann die Erkenntnis, die sich im Laufe der Reise eingestellt hat:

 

Ich bin nicht mit dem Rad über die Alpen, zumindest fühle es sich nicht so an. Ich bin mit dem Tribe am ersten Tag eine definierte Strecke, eine geplante, relativ überschaubare Entfernung gefahren.

 

Nicht mehr und nicht weniger.

 

Ich habe mich am Morgen mental auf den Trail eingestellt und habe ihn so gut es geht bewältigt. Am Abend habe ich mich erholt. Das wars. Mehr nicht. So ein Tag ist machbar. So ein Tag ist kein großes Projekt. So ein Tag ist ein Tag ist ein Tag.

 

Dann folgte der zweite Tag. Sicher, man hatte den Vortag noch ein bisschen in den Knochen, aber es war doch auch nur ein Tag - ein übersichtlicher und ein machbarer. Wieder das Einstellen auf die Strecke, wieder den Blick auf das Tagesziel, wieder Zähne zusammenbeißen und jeweils einfach nur im „jetzt“ sein. Am Abend folgte die angenehme Erholung mit den Jungs.

 

Man kann sich vorstellen, wie das weiterging. Jeder Tag war ein Tag für sich. Ohne Gedanken an gestern, ohne Gedanken an morgen. Fokus auf den Trail, Fokus auf die Oberschenkel und oft auch der Genuss der Natur.

 

Was war nun mit der Ankunft am Gardasee? Die Tagesetappe zum Gardasee war vom Umfang nur 2/3 der bisherigen Tagesetappen. Wir kamen also an - ohne viel „Aufwand“ - für mich war einfach eine Tagesetappe fertig, mehr nicht. Denn genau in diesem Rhythmus waren wir nun schon seit mehr als einer Woche.

 

Die Vorstellung ist verrückt:

 

Ein so großes Projekt, ein so großes Ziel, meine große Herausforderung - einfach nebenher erreicht. Und genau dieses „nebenher“ hat mich noch lange beschäftigt:

 

Ich konzentriere mich einfach auf meinen Tag, auf alles ambitionierte und dennoch machbare.

 

Und ich mache es einfach.

 

Das ist keine Magie.

 

Und am nächsten Tag mache ich es noch mal.

 

Auch das ist keine Magie.

 

Die Magie entsteht, wenn man geduldig ist, wenn man seinem Weg vertraut, wenn man Kontinuität hat.

 

Selten habe ich dies so kraftvoll gespürt, wie auf unserem Alpencross.

 

Und ich hatte auf dieser Reise glücklicher Weise einen Tribe, der mich bei alle diesen drei Einstellungen unterstützt und bestärkt hat.

 

Danke für diese „Challenge“. Von ganzem Herzen.

Ümit Konuray